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Zeit – die vierte Dimension?

Ilse-Marie Weiß

Raum und Bewegung, eine Betrachtung zur gleichnamigen Ausstellung im KuKuK Wettenberg 2020

 

Bevor das ungemalte Bild „Zeit – die vierte Dimension?“ in meinem Kopf entstanden ist, habe ich lange über den Titel der Ausstellung nachgedacht.

 

Raum – damit kennen wir uns aus, wir sind ein Teil davon. Wir haben gelernt auf einer Leinwand etwas räumlich Wirkendes darzustellen.

Aus Erfahrung wissen wir:

Dinge, die weiter entfernt sind, wirken kleiner als sie in Wirklichkeit sind. Parallele Linien scheinen sich mit wachsender Entfernung anzunähern (z.B. Eisenbahn und ihre Schienen).

Farben wirken in der Ferne viel blasser als sie in Natur sind.

Mit diesem Wissen kann es uns gelingen, ein Bild mit räumlicher Tiefe zu malen.

Bewegung – damit haben wir größere Schwierigkeiten sie darzustellen. Ich habe über Bewegung nachgedacht, was ist das überhaupt?

Ganz allgemein gesagt, eine kontinuierliche Veränderung eines Objektes in einem Zeitabschnitt. (Beispiel: Luftballon aufblasen).

Wohl alle kennen das „Daumenkino“:

Ein kleines Bild auf einer ersten Seite wird auf jeder folgenden Seite etwas verändert gezeichnet. Beim schnellen Durchblättern wird ein bewegtes Bild sichtbar. Jede Seite ist ein Zeitscheibchen und zusammen bilden sie den Vorläufer des Films – der lässt sich aber nicht in einem Bild malen.

Wir müssen uns der Bewegung in der Malerei anders nähern.

Dazu stellen wir uns ein Bild vor: eine Straße, die von uns wegführt, und darauf ein Auto, etwas ganz Alltägliches. Beim Betrachten können wir aber nicht entscheiden, ob das Auto im Fahren ist oder parkt. Dieses Bild ist für die Darstellung von Bewegung ungeeignet, weil es keine eindeutige Aussage liefert.

Wir suchen ein besseres Beispiel: Wir stellen uns vor, dass wir an einem Fenster stehen und den blauen Himmel betrachten. Plötzlich hören wir das Geräusch eines Flugzeugs, das sich nähert. In dem Moment, wo es am Fensterrand erscheint, wissen wir: es bewegt sich durch unser Blickfeld und wird am anderen Fensterrand verschwinden. Aus Erfahrung wissen wir, es kann nicht vor uns am Himmel anhalten!

Ein Bild: Flugzeug am Himmel ist ein eindeutiges Indiz für Bewegung.

Wir müssen also für Bewegung malbare Stellvertreter finden, die den Eindruck der Bewegung eindeutig vermitteln.

Diese Überlegungen stecken hinter meinem Bild:

 „Zeit – die vierte Dimension?“

Für den Weg, den ich dort dargestellt habe, habe ich eine Spiralbahn gewählt, die von oben nach unten führt, ganz bewusst beginnt sie oben rechts und verläuft gegen den Uhrzeigersinn.

Warum?

In unserem Kulturkreis werden die Schrift von links nach rechts und die Zeilen von oben nach unten geschrieben und gelesen. Unsere Augen sind davon geprägt, wir haben das langegenug geübt.

Bewegungen in diese Richtung werden als „normal“ angesehen.

Eine Bewegung in die Gegenrichtung ist viel spannender, weil ungewohnt, sie wird mit größerer Aufmerksamkeit wahrgenommen.

 Und dann sind da die Kugeln. Eine Kugel ist für uns ein Objekt, das rollen kann. Wenn sie bewegungslos auf einer waagrechten Ebene liegt, ist sie in einem labilen Gleichgewicht.

Ein kleiner Stips oder unsichtbar ein Luftzug bringt sie ins Rollen. Noch deutlicher wird, es wenn eine Seite der der Fläche angehoben wird – dann rollt sie los.

Nun zu meinem Bild: Kugeln auf einer schrägen Bahn – zwei Stellvertreter für Bewegung. Allerdings läuft diese Bewegung nur in unserem Gehirn ab.

Und der Titel: „Zeit – die vierte Dimension?“: Wir haben gesehen, dass sich Bewegung weder im zweidimensionalen Raum (z.B. auf einer Leinwand) noch im Dreidimensionalen (unsere gewohnte Umgebung) darstellen lässt, es bleibt immer eine Momentaufnahme!

Wenn wir zum Beispiel den Zustand der Erde am heutigen Tag betrachten, stellen wir fest:

Es hat sich etwas verändert, wir sind seit gestern um einen Tag gealtert und der Klimawandel ist weiter fortgeschritten.

Um die gesamte Existenz zu beschreiben, braucht es mehr als die gewöhnlichen drei Dimensionen.

 

Ich kann mir vorstellen, dass die Zeit die vierte Dimension ist, in der Bewegungsabläufe oder allgemein gesagt: Veränderungen darstellbar sind.

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