Gastkünstler - Guest Artists


 

Giessen StreamTeam – auch im KuKuK – demnächst mit Ingi Fett

 

Liebe Gießener und Gießenfreunde,

 

Corona hin, Corona her, wir gehen los: Vom ersten Dezember 2020 an, täglich, immer um 18h, besuchen wir täglich einen Veranstaltungsort in Gießen und dem Kreis Gießen und bringen jedesmal einen oder zwei Künstler mit. Welchen Veranstalter, welchen Künstler? das ist die Adventskalenderüberraschung!

 

Der Veranstalter „knippst uns das Licht auf der Bühne an“, erzählt, wie es gerade bei ihm aussieht, der Künstler ebenso, und dann spielt der Künstler noch eine gute Viertelstunde Musik. Alles in allem dauert dieses Minikonzert nicht mehr als 25 Minuten. Für euch streamen wir es live über YouTube, so wird auf dem dafür eigens eingerichteten Kanal („GiessenStreamteam“) nach und nach eine schöne Bibliothek an Minikonzerten zu sehen sein. Auch wird eine Spendenhotline für Veranstalter und die Künstler installiert sein. 

 

Seid mit uns dabei! Schaltet den Rechner ein! Macht mit! Spendet! Erfahrt, wie es den Leuten geht! Verbindet euch! Bleibt im Gespräch! Bleibt wohlgemut!

 

Alles Liebe, Cordula und Peter!

 

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Fillies, Vera



Hain, Ulrich

9. November 2020: Ulrich Hain, "Musi-Covid 2020" - Teil 2

 

Aus dem Dodekamerone (griech. dodeka = zwölf)

Maßnehmen - ab Teil 2

 

Zweiter Abend: „Gisela 1“

Megumi machte sich erst einmal an ihr Laptop und bemühte sich vorsichtshalber um den Aufbau einer Audio-Video-Konferenzschaltung – auf alle Fälle und, wie sich zeigte, zum Glück! Denn es meldete sich ganz unerwartet die schöne Gisela, Sopran. Sie wollte plötzlich nachkommen. Sie hielte es allein nicht mehr aus. Wie man wusste, hatte sie die Angewohnheit, mit dem Wellensittich und ihrem Kater Guntram zu sprechen. Und jetzt fingen laut Gisela beide an mitzureden! Das schien ihr bedenklich und Außenkontakte nötig zu machen. Dazu hielt sie die Gruppe für geeignet, obwohl ihr bekannt war, dass Meini und Gotti von Singstimmen in hoher Lage Kopfschmerzen bekamen. 

Am Abend nach dem Imbiss wurde als erstes, und zwar fünf zu eins für Gisela gestimmt, vorausgesetzt sie brächte Megumi die gute Stainer (falls der Geigenzettel echt war) mit, die sie im Konservatorium weggeschlossen hatte. Natürlich erst, wenn sie von unserem Schulzi negativ getestet worden wäre, was inzwischen ratsam schien. Schulzi, eigenartig, Mediziner und „Doktor gar“ und kein faible für Klassik; für ihn fing Musik erst mit Take Five an. 

Meini war gestern Abend doch noch zur Gruppe gestoßen und hatte sich einen sicheren Platz hinter der Tür zum Treppenhaus verschafft, aber gerade vorhin mit seiner Gegenstimme betreffs Gisela die emotionale Eintrübung von gestern leider nicht ausgeräumt. Deshalb kam die rechte Spiel- und Zuhörfreude nicht mehr auf, obwohl die abendliche Zusammenkunft Erlösung versprach von der Isolation auf den Zimmern. Ein unter „Einspielen“ firmierendes halbherziges Angebot mit einem Haydn-Trio prima vista  – Gotti, Meini, Gudrun - lehnte man ab. Wenn schon, dann richtig! Lieber morgen Abend das vorbereitete Haydn-Quartett aus op. 17. Stattdessen ein Ausflug mit Besichtigung des inzwischen befriedigend ausgestatteten Weinkellers. Geselliges Beisammensein mit Verkostung und viel erleichtertem Gelächter. Open End. 

 

Dritter Abend: „Gisela 2“

Nachdem in der Dämmerung alle von ihren so genannten Exerzitien oder ihrem Kater aus den Zimmern herabgekommen bzw. von zu Hause verspätet eingetroffen waren, nämlich Gisela, und sich jeder in seine oder ihre Ecke im Raum verfügt hatte, sieben Ecken (?!), machte Irmgard auf die rötlich übertönte Atmosphäre aufmerksam; die Abendsonne schien durch einen Spalt in der Wolkenwand herein und warf die Sprossenstruktur des großen Fensters an die gegenüberliegende Wand. Ein Kamin, das wäre jetzt Spitze. Mit einem Glas Rotwein?

Aber die Kästen standen bereit. Ehe das Quartett jedoch die Instrumente auch nur ausgraben konnte, bremste Gisela die Situation aus. Sie wollte unbedingt erst einmal von ihrem blöden Sittich und Guntram, dem Scheiß-Kater, berichten. Wie sie bisher zu dritt in der Verbannung auf ihre Etage so innig zurechtkamen! Das heißt, ganz zu Anfang. Vor einer Woche. Gotti stöhnte mehrfach leise vor sich hin; Irmgard verdrehte die Augen, was wegen der abgetauchten Sonne weniger auffiel; Gudrun dachte nur: „Gisela! Das musste kommen.“ Aber dann sprach Gisela, offenbar unter innerem Druck und gegen alle Absicht, von ihrer bitteren Enttäuschung. Da spitzte man nun doch die Ohren: Ihr Professor in Frankfurt hatte sie plötzlich mit dem Entschluss überrascht, zunächst einmal ganz bei seiner Familie bleiben zu wollen, strikt. Gisela hielt wie Megumi immer noch Kontakt zum Konservatorium, sporadisch, um das Niveau zu sichern oder wenn möglich noch anzuheben. Musik war in ihrem Alter ja das einzige, was nicht per se abbaute und noch mehr oder weniger ausbaufähig blieb. Immerhin, hier schien irgendwo der wahre Grund von Schön-Giselas Drang zum Waldschlösschen verborgen zu liegen. Man hing den eigenen Gedanken noch einen Augenblick nach und wollte dann zum Konzert übergehen, Quartett Nr. 4, c-Moll. Aber Gisela fuhr mitten im Stimmen noch einmal hoch, sie müsse sich unbedingt ganz offiziell für ihr Zuspätkommen vor allen entschuldigen. Nur weil ihr Auto aufgebrochen wurde! Hier im Ort beraubt! Während sie am Ortseingang noch schnell „Stückchen to go“ als Überraschung kaufte. „Dein Navi?“ „Die Noten?“ „Nein, das Klopapier. Vom Rücksitz. Alles! Dreilagig.“    

Schließlich und endlich das ehrgeizige Quartett unter Wahrung der Sicherheitsabstände; eigentlich ja nicht nötig, aber bekanntlich schnaufte Gudrun am Cello im Forte reichlich heftig. Aerosole? – Ins Gemüt gehend, der Haydn, hoch differenziert, mehr beschwingt als bedrohliches Moll. Nur Bernd musste kurz an Robert Gernhardts Beschreibung der „fidelnden“ Bachfamilie denken. Verdienter wenn auch recht dünner Applaus aus drei Winkeln – was will man machen bei wieder einmal weniger Publikum als Künstler. Gusti kommentierte: „Es sind doch tatsächlich die c-Moll-Stücke, bei denen dem Komponisten etwas einfällt.“ Irmgard nickte beifällig, aber Gudrun sagte: „Das G-Dur-Quartett, das  aus op. 17 ebenfalls, wäre mir lieber gewesen. Und, bitte, wie war übrigens unser Spiel?“ Vom sturen Gusti bloß ein ziemlich herzloses: „Ich als Oboist sage: c-Moll, aber immer.“ Danach wurde es endlich gemütlicher.

 

Vierter Abend: „Magen“

Das Konklave im Waldschlösschen verlief bald in derselben Lahmheit und Zähigkeit des Zeitvergehens wie „draußen“, besonders die schier endlosen Stunden auf den Zimmern, wenn nicht geprobt wurde. Unterbrochen nur für die, die „Dienst“ hatten: Wie jeden Tag, mal die und mal die, wurde nämlich mittags warm gekocht, da sie alle noch aus einer Generation stammten, die bei besonderen Gelegenheiten lieber selbst kochte als sich auf die Gastronomie zu verlassen. Man versuchte sich am großen Herd. High Noon für Gisela, Bernd und Gotti heute. Sie machten es sich leicht. Von der riesigen geräucherten Bauchspeckseite war noch mehr als genug da, es mussten nur Zwiebeln und Knobi angebraten und der Weißkohl zerkleinert und mit den Kartoffeln geschmort werden und schon war das „Kraut, oberösterreichisch“ essbereit. Verzicht auf die Saure Sahne, umständehalber. Windbeutel aus der Tiefkühltruhe. Arbeitsanfall: Ein Klacks. Nur dass noch vor dem Essen der Pizzaservice klingelte, einen Tag zu früh. Meini war ziemlich aufgebracht, weil er die Lieferung im Voraus bezahlt hatte und einem Disput mit sprühenden Viren an der Haustür auswich. Das hieß also am Abend, nach dem reichlichen Kohl zu Mittag, noch ein spürbar drückender Pizzamagen. Weil die Bläser sich aber weigerten, ihre Künste einem dem Entschlummern geweihten Publikum anzubieten, akzeptierte man ohne groß zu mosern Bernds Solodebut am Klavier, Scarlatti, Schumann und als „Hammer“ Ignaz Moscheles. Das hieß: Die beiden anvisierten Mozartquartette, eins mit Flöte, eins mit Oboe, erst morgen oder übermorgen. 

 

Sechster Abend: „Fußball?“

Am fünften Abend kamen die beiden Quartette gut an, die Bläser wegen der Aerosole dann doch etwas abseits soweit das ging. Aber der Beifall! Wieder dünn, wie gehabt. Deshalb einhellige Meinung, der folgende Tag soll dem Nachdenken über diese unwürdige Situation gewidmet sein. Und am Abend schälte sich heraus, Megumi müsste im Netz nach Beifallssequenzen suchen, Quizsendungen, Talk-Shows, um damit den Analog-Applaus hier im Waldschlösschen dezent digital aufzufüllen künftig. Dieses Vorhaben wurde gebührend bejubelt und darüber vergessen, eine Vereinbarung für das Konzert heute, den sechsten Abend, zu treffen. Spontan sprang nun Gisela ein mit dem Vorschlag „Hugo Wolf“, zusammen mit Bernd natürlich: „Bernd, das ist doch machbar, oder?“ Gisela blickte Bernd an, die anderen aber sahen auf den empfindsamen Meini. Doch der wollte sich nicht nochmal unhöflich bis unsozial erweisen. Er senkte den Kopf und schwieg, schickte aber einen beschwörenden Blitz-Blick hinauf zu Gotti auf seinem Treppenplätzchen. Gotti wollte Meini schon aus eigenem Interesse gern unterstützen. Aber ihm fiel nichts ein. So konnte Irmgard einschieben, ablenkend: „Haben wir denn für den Zusatzapplaus anständige Lautsprecher hier?“ - - - - - „Oh, ah, oh, ah-propos Lautsprecher und Verstärker“, wie elektrisiert schrak Gusti aus seinen gedanklichen Abwegen hoch. „Ich hab‘ ne‘ Idee! Ich habe eine Idee. Es sollen doch Geisterspiele für die Erste und Zweite Liga kommen. Stellt euch doch nur solche Situationen vor. Lähmend. Dagegen ist doch unsere Situation ohne viel Applaus gerade mal nichts! Also, Megumi kann doch jetzt auch noch zusätzlich nach alten Fußballspielen suchen, und zwar solchen, wo kein Reporter, oder wie die heißen, dauernd dazwischen quakt. Etwa mit Huberty. Das reine Getöse und Gebrause rausschneiden. Und wir vermarkten das als Sound-Kulisse für die leeren Stadien, für die Spieler, für die Fans am Fernseher.“ „Klasse“, sagte Gudrun vom Klavierhocker aus, den sie sich diesmal unter den Nagel gerissen hatte. „Du bist ein Genie, Gusti. Wusste ich noch gar nicht. Der DFB ist ja immer theatralisch drauf, aber mir kann niemand sagen, dass die keine Knete locker machen, wenn sie die Spiele aufmotzen wollen. Einfach klasse die Idee!“ Nach diesem Geniestreich – nix Musik mehr für heute. Es ging nur noch um das lästige Sondieren. Hat wer Kontakte? Wer hat welche Kontakte – Megumis Münchener Ehemann Ludwig? Wie groß wird der Aufwand sein und wie umständlich und störend und was machen wir, wenn das klappt?   

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Schade, dass das Grüppchen wegen des Kontaktverbots von keinem Privatsender und auch nicht vom zuständigen Dritten Programm für eine Art Quarantäne-Doku besucht wurde. Es fehlten halt zwei knackige Teens oder Twens, oder drei. Aber so blieb eben Muße, um neben den Konzerten bei Gelegenheit, nach der Musik etwa, sich in entspannter Runde auszumalen, was inzwischen wohl die ausgegrenzten jeweiligen besseren Hälften bzw. Lebensgefährten bzw. Lebenspartner bzw. -innen so treiben mochten. Phantasien kamen auf. Aber ehe diese ins Unerquickliche abgleiten konnten, stieß Gotti als (manchmal leider negativer) „Geist der Gruppe“ allmählich doch zum Hauptproblem fürsorglichen Gedenkens vor, zu den Ausgegrenzten: „Ob die noch gesund und virusfrei rumlaufen?“ Megumi: „Bisher ist noch nichts reingekommen. Also alles im grünen Dur-Bereich vermutlich.“ Dass ihr Ludwig draußen sich mit dem Mundschutz schwer tat und Spannungen an seinen Ohren vermeldete, verschwieg sie. Wörtlich: „Meine Ohren schwächeln allmählich“. - „Und wie geht es meinem Guntram, und Hansi! Meine Zugehfrau kommt hoffentlich regelmäßig!“

 

Sechs weitere Abende waren ins Auge gefasst, zusammen also zwölf. Sollte man die Zeit hier als Probezeit für eine künftige Alters-WG sehen? „Erweiterte“ WG?? Das musste, was unsern Kreis hier anging, ja nicht so bald sein, musikalische Schallwellen konservieren ja karajanmäßig wie man weiß. Auch wenn man nicht unbedingt schöner wird - Gisela! Selbstbestimmte Quarantäne - Alters-WG - klassische Musik als Bestandteil der Lebensführung! Muss man sich leisten können oder, angesichts der blutenden Restwelt, leisten wollen. Ausgrenzen der brennenden Urwälder und der in Dreck und Bomben erstickenden Humanwelt sowie momentan der Alten auf den Intensivstationen weltweit.

 

Letzten Endes dauerte speziell dieser gemeinsame Rückzug leider beziehungsweise gottseidank über die insgesamt anvisierten Tage oder Abende noch an, bis weit in den Herbst. 

Aber ich muss ja nicht alles erzählen.